Das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) hat laut Heise eine Software entwickelt, die menschliche Stimmungen analysieren soll. Das klingt auf den ersten Blick fast unmöglich, wenn man sich mit der dahinterliegenden Theorie jedoch ein wenig beschäftigt eigentlich gar nicht mehr so absurd. Weil Heise leider nichts dazu schreibt, hier ein paar Hintergundinformationen:
Zur Kodierung von menschlichen Stimmungen anhand des Gesichtsausdrucks gibt es das bereits 1978(!) das von Paul Ekman und Wallace V. Friesen entwickelte und als Loseblattsammlung mit Filmsequenzen publizierte Facial Action Coding System. Das FACS-Manual definiert eine Vielzahl sogenannter Action Units (AUs), das sind sichtbare Bewegungen der mimischen Muskulatur. Eine Action Unit kann entweder ein einzelner Muskel (z.B. Heben der Augenbraue) oder in mehreren Fällen eine Kombination aus mehreren Muskeln (z.B. Kußmund) sein, die zusammen einen bestimmten Gesichtsausdruck ergeben. In seltenen Fällen gibt es zu einem realen Muskel auch mehrere Action Units (z.B. Blinzeln und Senken der Augenlieder), wenn dieser Muskel verschiedene Mimiken erlaubt. Das FACS-Manual dekodiert den beobachteten Gesichtsausdruck in die spezifischen AUs, aus denen sich der Ausdruck zusammensetzt. Zusätzlich fließen in den FACS-Score Werte wie Intensität (auf einer Skala von A-E), Dauer und Asymmetrie des Gesichtsausdrucks ein.
Für jeden Gesichtsausdruck gibt es im Facial Action Coding System Affect Interpretation Dictionary (FACSAID) eine psychologische Interpretation. Die Gesichtsausdrücke in der Datenbank werden anhand ihres FACS-Score beschrieben und bestehen hauptsächlich aus emotionalen Einschätzungen. Eine Art Expertensystem oder Regelsätze kommt nicht zum Einsatz, um die Datenbank einfach benutzbar zu halten.
Da FACS extrem umfangreich ist, da es praktisch alle überhaupt möglichen Gesichtsausdrücke spezifiziert, kommt in der Praxis häufig eine abgespeckte Version zum Einsatz, die nur wichtige emotionale Gesichtsausdrücke kodiert, EMFACS (Emotion FACS). EMFACS wurde in den 80er Jahren hauptsächlich für US Behörden entwickelt, um die Zeit für ein Scoring zu veringern, wenn nur der aktuelle emotionale Gesichtsausdruck gefragt wird. Während eine komplette FACS-Analyse eines Fotos bis zu zwei Stunden dauern kann, ist eine EMFACS-Bewertung oft in weniger als einer Minute, manchmal auf den ersten Blick heraus möglich. Mindestens seit 2006 bildet Ekman auch Beamte des US Department of Homeland Security sowie Sicherheitsbeamte an Flughäfen aus, die möglicherweise nervöse Passagiere als Terroristen entlarven sollen. Beim DHS nennt sich das übrigens Screening Passengers by Observational Techniques, kurz SPOT.
Und jetzt ist es vielleicht an der Zeit, sich langsam Sorgen zu machen. Der Satz: „Als ein mögliches Einsatzszenario nennt das Institut die Messung der Reaktion auf öffentliche Werbung.“ ist natürlich Blödsinn. Die Technik wandert direkt in Schäubles Überwachungsarsenal. Das ist schließlich genau das, was sich Sicherheitsbeamte seit langem wünschen: Echtzeit-Auswertung des Gefühlszustand einer großen Anzahl von Personen.
Ach ja, das Fraunhofer Institut ist nicht das einzige, das daran arbeitet. Mindestens die Sandia National Labs sind auch mit dabei. Nur schreiben die ehrlicherweise: „Sandia is developing technology to help prevent border incidents“. Und in Holland gibt es sogar einen kommerziellen Anbieter.
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Comment by Christian — 7. Juni 2012 @ 07:51